Hausa-Stadtstaaten \(11. bis 19. Jahrhundert\): Handelsstädte zwischen Nord und Süd

Hausa-Stadtstaaten \(11. bis 19. Jahrhundert\): Handelsstädte zwischen Nord und Süd
Hausa-Stadtstaaten (11. bis 19. Jahrhundert): Handelsstädte zwischen Nord und Süd
 
Die Anfänge einer Erfolgsgeschichte
 
Sieben »echte« und sieben »Bastard«-Staaten sind nach der Gründungslegende der Hausa seit dem 11. Jahrhundert von den Söhnen und Enkeln des aus Bagdad stammenden Prinzen Bayajidda in der Nachbarschaft des Reiches Kanem-Bornu im Gebiet des Tschadsees errichtet worden. Die Legende nennt die ehelich geborenen Nachfahren des Prinzen als Gründer der »echten« Stadtstaaten Daura, Kano, Gobir, Zaria, Katsina, Rano und Biram (Garun Gabas) und schreibt den Abkömmlingen seiner Nebenfrau, herabsetzend »Bastarde« genannt, die Errichtung von Kebbi, Zamfara, Gwari, Jukun (Kwararafa), Yoruba, Nupe und Yauri zu.
 
Die Legende selbst stammt aus dem 16. Jahrhundert, einem Zeitraum, in dem die Stadtstaaten bereits ein hohes Niveau an wirtschaftlicher Entwicklung und politischer Stabilität erreicht hatten. Über den historischen Ursprung der im Gebiet des heutigen Nordnigeria und Südniger entstandenen Stadtkulturen und Handelszentren gibt sie keinen Aufschluss. So wurde zum einen der Prinz aus Bagdad von der Geschichtsforschung mittlerweile tatsächlich ins Reich der Legende verwiesen. Zum anderen erstreckte sich die Gründung der Stadtstaaten über einen Zeitraum von mehreren Jahrhunderten. Nicht alle der oben genannten Staaten sind den Stadtstaaten der Hausa zuzurechnen, sondern waren zum Teil — und hierin liegt das Geheimnis der »Bastarde« Jukun, Nupe und Yoruba — eigenständige Königreiche, die indes rege Handels- und politische Beziehungen mit den »echten« Staaten, den »Hausa-Sieben«, pflegten und sich kulturell von ihnen inspirieren ließen.
 
Der Stadtentwicklung im Europa der frühen Neuzeit vergleichbar, entstanden im Zentralsudan durch die Anbindung an Fernhandelsnetze und durch das Zusammenleben von Menschen verschiedener Herkunft und Religionszugehörigkeit prosperierende städtische Gemeinwesen, die zum Schutz gegen Übergriffe seitens der benachbarten Territorialreiche Kanem-Bornu, Mali und Songhai sowie konkurrierender Stadtstaaten befestigt wurden. Ein komplexes und fein gegliedertes Regierungs- und Verwaltungssystem, in das die einzelnen Berufs- und Standesgruppen einbezogen waren, regelte das Zusammenleben im Inneren der Städte sowie die Beziehungen zum jeweiligen Hinterland.
 
Die »Erfolgsgeschichte« der Hausastadtstaaten, deren Anfänge sich mithilfe archäologischer Zeugnisse und nach mündlichen Traditionen auf das 11. Jahrhundert datieren lassen, umfasst 450 Jahre — von ihrem Aufstieg im Zuge der Ausweitung des Transsaharahandels ab der Mitte des 14. Jahrhunderts bis zur militärischen Eroberung durch die Truppen des muslimischen Reformers Osman dan Fodio, in dessen Reich sie zwischen 1804 und 1812 eingegliedert wurden.
 
Grundlagen der Stadtentwicklung im Zentralsudan
 
Die Anfänge der Hausastaaten gehen, entgegen früheren Auffassungen, weder auf Migrationen aus dem arabischen Raum noch auf Südwanderungen im Zuge der Austrocknung der Sahara zurück, sondern sind auf die ortsansässige Bevölkerung — eventuell vermischt mit ehemaligen Bewohnern vom Westrand des Tschadsees — zurückzuführen. Obwohl die Geschichtsforschung vor allem für die Frühzeit starke Einflüsse besonders aus Kanem-Bornu festgestellt hat, lässt sich die historische Entwicklung des Hausalandes aufgrund der schwierigen Quellenlage bis auf Ausnahmen erst für die Zeit von der Mitte des 15. Jahrhunderts an präziser bestimmen.
 
Fruchtbare Böden, Eisenerzvorkommen und eine relativ hohe Bevölkerungsdichte bildeten die Grundlagen für die Stadtentwicklung. Die Überschüsse aus dem Anbau von Hirse, Sorghum und Reis, die Rinderhaltung sowie die Produktion von Baumwolle und Indigo schufen die Voraussetzungen für die gesellschaftliche Arbeitsteilung. Von spezialisierten Handwerkern hergestellte Textilien, Lederwaren, Metallwerkzeuge und Keramik hoben den städtischen Lebensstandard und förderten die Entstehung lokaler und regionaler Märkte. Begünstigt durch die geographische Lage des Hausalandes zwischen Sahara und Sahel im Norden, Savanne und tropischem Regenwald im Süden entwickelten sich die Städte zu wichtigen Umschlagplätzen im Transsaharahandel.
 
Sie exportierten Hirse, indigogefärbte Baumwollstoffe, Leder- und Sattlerwaren aus der Produktion der Hausa, Sklaven und Kolanüsse aus den südlichen Regionen, dem heutigen Südnigeria und Nordghana. Aus Nordafrika und Europa importierte Produkte wie Metall- und Glaswaren, Waffen und Pferde, Perlen und Luxusbekleidung sowie Salz, Natron und Zinnbarren aus der Sahara (Takedda, Bilma) waren für den Eigenbedarf oder zum Handel mit den Südregionen bestimmt. Aufgrund der Vielfalt der Handelskontakte befanden sich verschiedene Zahlungsmittel im Umlauf. Während auf lokaler Ebene der Tauschhandel überwog, bezahlte man im überregionalen Handel mit Baumwollstreifen, Kaurimuscheln, Salz, Sklaven oder Gold. Durch festgesetzte Wechselkurse — so kam der Wert eines Pferdes beispielsweise dem eines jungen Sklaven oder einer bestimmten Menge an Kupfer gleich — waren die verschiedenen »Währungen« konvertierbar.
 
Der genaue Zeitpunkt der Integration der Hausastädte in den Transsaharahandel ließ sich bislang nicht ermitteln. Sicher ist allerdings, dass der Handel nicht nur die wirtschaftliche Prosperität und die kulturelle Entwicklung aller Hausastädte vorantrieb, sondern auch die Rivalität unter ihnen anfachte. So unterwarf Kano um 1400 den südlichsten Stadtstaat Zaria und sicherte sich damit den Zugriff auf den Sklaven- und Kolanusshandel. Wiederholte militärische Auseinandersetzungen um Handelsvorteile und politische Vorherrschaft prägten zwischen Mitte des 14. und Ende des 16. Jahrhunderts auch das Verhältnis zwischen Kano und Katsina.
 
Gleichgewicht der Kräfte
 
Trotz wechselnder Machtverhältnisse in den Beziehungen der Stadtstaaten untereinander und in Bezug auf die benachbarten Großreiche Songhai und Bornu gelang es auf Dauer keinem der Konfliktpartner, die hegemoniale Vorherrschaft zu erringen. Viel spricht dafür, dass letztlich ihr gemeinsames Interesse an dem für alle vorteilhaften Fernhandel überwog, sodass die Region ab dem Ende des 16. Jahrhunderts durch ein latentes Gleichgewicht der Kräfte geprägt war, das sich unter anderem in einer »Arbeitsteilung« ausdrückte. So galten nach der schon erwähnten Gründungslegende Kano und Rano, deren baumwollene Batiktextilien auch in Nordafrika sehr geschätzt wurden, als »Könige des Indigo«, während Katsina und Daura, die »Könige des Marktes«, ihren Vorrang als Umschlagplätze im Transsaharahandel behaupteten. Der nördlichste Hausastaat Gobir, der »König des Krieges«, verteidigte die Region unter anderem gegen Einfälle der Tuareg, und Zaria, der »König der Sklaven«, kontrollierte den Handel mit Menschen aus den Regionen südlich des Hausalandes, welche als Arbeitskräfte für die Stadtstaaten oder als »Handelsware« zum Export nach Nordafrika bestimmt waren.
 
Günstige Handelsaussichten und der hohe Lebensstandard machten die Hausastädte für Immigranten aus den Nachbarreichen, aber auch für Angehörige anderer Kulturkreise attraktiv. Diese Zirkulation von Waren, Menschen und Ideen übte nachhaltigen Einfluss auf die gesellschaftliche und kulturelle Entwicklung in Zentralsudan aus, wie sich insbesondere am Beispiel der Stadt Kano verfolgen lässt.
 
 Zum Beispiel Kano
 
Bevölkerung und wirtschaftliches Wachstum
 
Kano, mit dessen Befestigung um 1100 begonnen wurde, entwickelte sich ab 1350 zum prosperierenden Wirtschaftszentrum, das auf dem Karawanenweg vom Mittelmeerhafen Tripolis aus in zwei Monaten zu erreichen war. Bedeutenden Anteil am Aufschwung hatten die Händler vom Volk der Mande (auch Wangara oder Dyula) aus Mali, die sich vor allem nach dem Niedergang des Großreiches im 15. Jahrhundert in größerer Zahl in Kano niederließen und unter deren Einfluss der Stadtchronik zufolge bereits der Herrscher Yaji (1349—85) zum Islam übergetreten sein soll.
 
Angezogen durch den florierenden Handel und die ersten Islamisierungserfolge kamen weitere Gruppen in die Stadt: Fulbe aus Fouta Toro (Senegalflussgebiet), unter denen sich muslimische Schriftgelehrte und Marabuts (von arabisch murabit »Weiser«, »Heiliger«), aber auch Hirtennomaden befanden; Aristokraten, Gelehrte und Händler aus dem muslimischen Nachbarreich Bornu sowie Vertreter der nordafrikanischen geistlichen Elite, die religiöse Schriften und Gesetzestexte mitbrachten, darunter der bekannte Jurist al-Maghili aus Tlemcen im heutigen Algerien. Er verfasste für Kanos Herrscher Mohammed Rumfa (1463—99) »Die Pflichten der Prinzen«, eine Anleitung zur Verankerung der Scharia, des islamischen Rechts, und zur Verbreitung des Glaubens im Staat. In gleicher Absicht stattete al-Maghili auch Kanos Handelsrivalin Katsina, deren Herrscher Mohammed Korau (1445—95) bereits Muslim gewesen sein soll, seinen Besuch ab.
 
Spätestens seit der Herrschaft Mohammed Rumfas lässt sich von einer höfischen muslimischen Kultur in Kano sprechen. Nach nordafrikanischen Vorbildern baute man in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts einen neuen Palast, eine Moschee und einen Harem für die 1000 Ehefrauen des Herrschers, verwendete Langtrompeten und Fächer aus Straußenfedern als Insignien königlicher Macht und beging das Ende des Fastenmonats Ramadan mit einem Fest (Id al-Fitr). Sehr zum Missfallen der muslimischen Gelehrten ließ die politische Führungsschicht jedoch große Toleranz gegenüber der »heidnischen« Bevölkerungsmehrheit in den Städten und im Hinterland walten. Prunkvolle Inszenierungen und das Nebeneinander von Islam und Animismus kennzeichneten über Jahrhunderte den Alltag in den Stadtstaaten, bevor sich an diesen Zuständen im späten 18. Jahrhundert schließlich der djihad, der »heilige Krieg«, des Reformers Osman dan Fodio entzündete.
 
Trug der Islam also in politischer Hinsicht dazu bei, die Position der Führungsschicht zu stärken und ihre Herrschaft zu legitimieren, so spielte er auch eine wichtige kulturelle Rolle, die nicht auf die Höfe beschränkt blieb. Prediger und Koranschullehrer verbreiteten nicht nur die religiöse Lehre in Stadt und Land, sondern auch das Lesen und Schreiben in ajami, das heißt in Hausa, das mithilfe des entsprechend angepassten arabischen Alphabets schriftlich wiedergegeben wurde. Zahlreiche in ajami verfasste religiöse, literarische und Gebrauchstexte waren vermutlich ab dem 17. Jahrhundert in Umlauf.
 
Diese bemerkenswerte Anpassung neuer Kulturtechniken an die allen Bewohnern des Hausalandes geläufige Sprache, der sich nachweislich auch die Händler der Mande und der aus Bornu stammenden Kanuri bedienten, war nicht nur ausschlaggebend für die Entwicklung von Handel und Handwerk. Die Alphabetisierung breiter Bevölkerungsschichten erleichterte auch die Regierungs- und Verwaltungsgeschäfte und trug darüber hinaus maßgeblich zur Entfaltung einer einheitlichen Kultur bei, in der sich animistische und islamische Anschauungen vermischten. Vom Kulturkontakt geprägt wurden auch die mündlichen volkstümlichen Überlieferungen der Hausa, in die islamische Elemente einflossen.
 
Politik und Verwaltung
 
Staatsoberhaupt in den jeweiligen Hausastädten war der sarki, der von einem mehrköpfigen Gremium hoher Regierungsbeamter und Provinzgouverneure aus den Reihen der Prinzen der herrschenden Dynastie bestimmt wurde. Die Regierungsform lässt sich als oligarchische Monarchie bezeichnen, insofern das Wahlgremium, dessen Votum einstimmig erfolgen musste, auch nach der Inthronisierung des Souveräns im Amt blieb und ihm als oberster Staatsrat zur Seite gestellt wurde, der im Falle Kanos, Gobirs und Zamfaras neun Personen umfasste.
 
Ursprünglich aus Angehörigen der herrschenden Dynastie sowie der führenden Familien des Landes zusammengesetzt, hatte dieser »Rat der Neun« die politischen und administrativen Schlüsselpositionen inne. Unter ihnen befanden sich der Oberbefehlshaber über die Armee, der Verwalter der Staatsfinanzen und der mit weit reichenden Kompetenzen ausgestattete galadima, der Premierminister und offizielle Stellvertreter des sarki. Zahlreiche Unterbeamte aus dem Verwandtenkreis, der Klientel, aber auch Sklaven dieser Spitzenpolitiker waren als Berater und Boten, Steuereintreiber und Marktaufseher, Grundstücksverwalter sowie als Verantwortliche für die königlichen Pferdeställe und das höfische Protokoll tätig.
 
Eine Ausnahme von diesem ausschließlich männlichen Beamtenapparat verkörperte sich in der asarki. Diese »Königinmutter« — nicht zwangsläufig die leibliche Mutter des Souveräns, sondern häufig seine Schwester oder Tante mütterlicherseits — spielte eine führende Rolle im Staatsgeschehen. Wie eine Quelle aus Kano um 1500 berichtet, schaltete sie sich in Machtkämpfe ein und konnte somit den drohenden Sturz eines Herrschers verhindern. Der einflussreichen Prinzessin Amina von Zaria wird nicht nur die Initiative zum Bau neuer Befestigungsanlagen und zur Ausdehnung von Handelsrouten zu Beginn des 16. Jahrhunderts zugeschrieben; sie ist darüber hinaus auch als Heerführerin in die Geschichte eingegangen.
 
Die starke Stellung der führenden Familien des Landes, die sich im Staatsrat und dessen weit reichenden Befugnissen ausdrückte, blieb in der Praxis nicht unangefochten, wie sich an wiederholten Machtkämpfen zwischen Monarch und Rat zum Beispiel in Kano und Zamfara zeigt. Deshalb betrauten die Souveräne zunehmend Sklaven, darunter auch Eunuchen, die ursprünglichen Haremswächter, mit hohen Ämtern und versicherten sich dadurch einer loyalen Gefolgschaft. So lag in Kano die Verwaltung der Staatsfinanzen, die Oberaufsicht über Stadt und Palast sowie über die freie Beamtenschaft seit Mohammed Rumfa in Händen »importierter« Sklaven. Die außergewöhnliche Karriere dieser Spitzenbeamten, die, obwohl sie zeit ihres Lebens unfrei blieben, mitunter sogar mit nahen Verwandten des Herrschers verheiratet waren, stand in scharfem Kontrast zum Schicksal der Mehrheit der Sklavenbevölkerung, die in allen Wirtschaftszweigen als Arbeitskräfte eingesetzt beziehungsweise als Handelsware verkauft wurden.
 
Nicht nur das prestigeträchtige Berufspolitikertum — in Hausa sarauta »das Regieren« — das die führenden Familien des Landes aufgrund ihrer ererbten Ansprüche und später durch den Aufbau von Klientelbeziehungen für sich zu monopolisieren versuchten, prägte das politische Leben der Hausastaaten. Auch die verschiedenen Berufs- und Herkunftsgruppen waren beteiligt. So regelten die Vertreter der in Zünften zusammengeschlossenen Schmiede und Maurer, Weber, Färber, Gerber und Sattler, Schlachter und Jäger, aber auch Musiker, Geschichtenerzähler und Prostituierte den Umgang mit den hohen Staatsbeamten, Marktbehörden und Händlern, führten Gewerbesteuern ab und stellten, wie im Falle der Schmiede und Jäger, eigene Regimenter für Kriegszüge auf. Während diese zünftig organisierten Berufsgruppen eher am unteren Ende der politischen Rangskala angesiedelt waren, galten Händler, Handelsgehilfen, Bankiers und Makler — Letztere beobachteten das regionale Marktgeschehen und bahnten Handelsgeschäfte an — als politisch und gesellschaftlich hoch angesehene Gruppe. Der Umstand, dass sie nicht nur aus Angehörigen verschiedener Nationalitäten, darunter zahlreichen Immigranten aus Mali und Bornu, zusammengesetzt waren, sondern auch der Zugang zum Handelsgewerbe offensichtlich keinen Beschränkungen unterlag, lässt sie im Rückblick als bemerkenswert moderne gesellschaftliche Gruppe erscheinen.
 
Den mallamai, muslimischen Gelehrten, Schreibern und Geistlichen, wurde neben ihren religiösen und kulturellen Aufgaben auch politische Bedeutung beigemessen, wie sich in ihren Funktionen als Berater und Sekretäre am Hof wie als Richter zeigt.
 
Die Gouverneure und Provinzstatthalter, welche die Beziehungen zwischen Städten und Hinterland regelten, setzten sich überwiegend aus Nachkommen der jeweiligen ortsansässigen Aristokratie zusammen, die sich, von Region zu Region verschieden, mit der herrschenden Dynastie in den Zentren verbündet hatte oder unter ihre Vasallenschaft geraten war. Dementsprechend unterlag das Verhältnis zwischen Zentrum und Provinzen im historischen Verlauf beträchtlichen Schwankungen. Den Quellen zufolge hat es sowohl Rebellionen seitens einiger Vasallen gegeben — wie jene, die Kanos Herrscher gegen Ende des 17. Jahrhunderts zur Absetzung und Hinrichtung eines unbotmäßigen Gouverneurs bewog — als auch Provinzen in Zamfara oder Katsina, die über längere Zeiträume einen hohen Grad an Autonomie aufrechterhalten konnten.
 
 Das Leben auf dem Land
 
Obwohl es auch innerhalb der Stadtmauern dörfliche Siedlungen gab, lebte die Mehrheit der bäuerlichen Bevölkerung im Hinterland der städtischen Zentren. Trotz ihres niedrigen politischen Status — der sie bezeichnende Begriff talakawa bedeutet sowohl »Bauern« als auch »Regierte« — gehörten sie, sozial gesehen, zu den freien Bürgern und waren nicht selten durch Blutsverwandtschaft oder Heiraten mit einflussreichen städtischen Familien verbunden. Dies erleichterte zum Beispiel nicht nur einzelnen Landbewohnern den Einstieg in Handwerk oder Handel, sondern hob langfristig den Stadt-Land-Gegensatz zunehmend auf, da größere Gruppen aus den ländlichen Regionen saisonal in die Zentren zogen und dort Handwerk und Handel nachgingen.
 
Den innerstädtischen Verhältnissen vergleichbar, war die politische Organisation auf dem Land durch ein hierarchisch abgestuftes System gekennzeichnet. Angefangen bei den Familienvorständen, über die Chefs der nächsthöheren Ebenen Dorf und Bezirk bis hin zum sarki des jeweiligen Stadtstaats, in dem sich gewissermaßen alle Autorität bündelte, regelte ein genauer Kanon die Kompetenzen und Pflichten eines jeden Amtsträgers. Im Inneren dieses Gefüges spielten persönliche Beziehungen und wechselseitige Verpflichtungen jedoch eine wichtige Rolle. So bemaß sich der tatsächliche Einfluss eines Amtsinhabers in der Stadt wie auf dem Land daran, inwieweit es ihm gelang, eine loyale Gefolgschaft hinter sich zu bringen, Beziehungen zu Ranghöheren — bis hin zum Souverän — zu knüpfen, die sich wiederum für ihn und seine Klientel vorteilhaft auswirkten.
 
Der Ackerbau
 
Landwirtschaft und Sozialleben wurden von der Großfamilie geprägt, deren Mitglieder — zumeist zwei Männer, deren Frauen und Kinder — ein Anwesen bewohnten und die Felder gemeinsam bestellten. Dem ältesten männlichen Mitglied väterlicherseits kam der Rang des Familienvorstandes und rechtlichen Vertreters gegenüber den politischen Autoritäten zu. Er war nicht nur verantwortlich für die Vergabe der Felder und die Zuteilung der Ernteerträge, die Anschaffung von Saatgut und Ackergeräten sowie die Ausführung der Zeremonien anlässlich von Aussaat und Ernte, sondern schlichtete auch Familienstreitigkeiten. Darüber hinaus führte er die von der Agrarbevölkerung jährlich zu leistenden Steuern, die zum Beispiel für Kano etwa ein Achtel der Ernteerträge ausmachten, und weitere Abgaben wie Brunnen- oder Handwerkersteuer ab.
 
Ausgereifte Agrartechniken wie der Einsatz von Dünger, Fruchtwechsel und Mischkulturen machten den Ackerbau zwischen 1500 und 1800 zum Grundpfeiler der wirtschaftlichen Prosperität im Hausaland. Wie in allen anderen Wirtschaftszweigen wurden auch in der Landwirtschaft aus den südlich gelegenen Regionen importierte Sklaven eingesetzt, deren Anteil an der Landbevölkerung auf 10 bis 20 Prozent geschätzt wird. Obwohl vermutlich jede Familie danach strebte, solche zusätzlichen Arbeitskräfte zu besitzen, hat es organisierte Sklavenarbeit, wie sie zum Beispiel Grundlage von Plantagenwirtschaften war, auf dem Land nicht gegeben. Ebenso wie sie in die familiären Landwirtschafts- und Handwerksbetriebe integriert wurden, nahm man Sklaven gewissermaßen auch in die Familie auf, was sie in der Regel davor bewahrte, wieder verkauft zu werden.
 
Anders verhielt es sich vermutlich mit den Domänen des Herrschers und führender Staatsbeamter. Ob sie allerdings ausschließlich von Sklaven bewirtschaftet wurden, wie Einzelzeugnisse nahe legen, ließ sich bislang nicht zweifelsfrei ermitteln. So berichtet die — vom Quellenwert her umstrittene — Chronik von Kano für Mitte des 15. Jahrhunderts nicht nur von Tausenden von Sklaven in Kano und Umgebung, sondern auch von 21 neu gegründeten Dörfern, die mit jeweils 1000 Sklaven besiedelt worden seien!
 
Die Weidewirtschaft
 
Neben dem Ackerbau prägte die überwiegend von Tuareg und Fulbe betriebene Weidewirtschaft das ländliche Leben. Während die Tuareg die Gebiete in Zamfara als saisonale Weidegründe für Kamele, Ziegen und Schafe nutzten, hielten die Fulbe im Hinterland von Katsina, Kebbi und Zamfara große Rinder- und Schafherden und ließen sich dort zunehmend auf Dauer nieder. Dies wirkte sich positiv für die Staatskasse aus, an die sie jährliche, an der Größe ihrer Herden bemessene Abgaben an Rindern, Milch und Butter zu leisten hatten. Im Verhältnis zwischen Bauern und Viehzüchtern überwogen gut nachbarschaftliche Beziehungen und wirtschaftliche Zusammenarbeit. Die Bauern profitierten von den Rinderherden, die nicht nur ihre Brachefelder düngten und somit zur Steigerung der Erträge beitrugen, sondern auch Fleisch und Milch lieferten. Im Gegenzug versorgten sie die Viehzüchter mit Getreide und Gemüse.
 
In jeder anderen Hinsicht haben sich die Hirten-Fulbe als immerhin größte ländliche Immigrantengruppe einer Integration widersetzt. Dank einer staatlich garantierten Autonomie hielten sie über Jahrhunderte ihre auf der nomadisierenden Lebensweise beruhenden politischen, sozialen und religiösen Gemeinschaftsformen aufrecht und blieben somit lange Zeit die einzige gesellschaftliche Gruppe im Hausaland, die sich äußeren Einflüssen — auch islamischen — nachhaltig verschloss.
 
 Konsolidierung und Niedergang
 
Die Hausastadtstaaten haben es in wirtschaftlicher Hinsicht verstanden, sich als Mittler im Fernhandel zu behaupten, ja sogar den ursprünglich von Nordafrika dominierten Transsaharahandel unter eigener Führung nach Süden hin auszudehnen. Als politische Einheiten konnten sie sich gegenüber den benachbarten mächtigen Territorialstaaten nicht nur auf Dauer behaupten; sie haben diese auch überlebt und »beerbt«. So fielen wirtschaftliche Blüte und politische Konsolidierung im 17./18. Jahrhundert zusammen mit dem Niedergang Songhais und der Schwächung Bornus.
 
Im Verhältnis der Stadtstaaten untereinander wirkte sich die Politik der Stärke langfristig allerdings verhängnisvoll aus: Permanente militärische Konflikte zogen hohe Ausgaben für Befestigungsanlagen und Armeen nach sich und führten nicht nur zur wirtschaftlichen Stagnation, sondern auch zu wachsendem Unmut bei breiten ländlichen und städtischen Bevölkerungsgruppen, die mit ihren Abgaben die Expansionsbestrebungen ihrer Souveräne finanzieren mussten. Neue Besteuerungssysteme und die anhaltende Vermischung islamischer und »heidnischer« Kultur am Hofe brachten auch die muslimischen Geistlichen gegen die Staatsführung auf.
 
Weder Eroberung von außen noch die Vorherrschaft eines ihrer Rivalen brachte die Hausastaaten letztlich zu Fall, sondern eine interne muslimische Reformbewegung unter der Führung des Gelehrten und Geistlichen Osman dan Fodio, der selbst lange Jahre in Diensten der herrschenden Dynastie in Gobir gestanden hatte, bevor er ihr den Krieg erklärte. Dabei erwies sich die innere politische und soziale Organisation der Stadtstaaten als ihr eigentliches »Erfolgsrezept«: Sie überdauerte nicht nur das von dan Fodio eingerichtete Kalifat von Sokoto, sondern blieb auch während der britischen Kolonialzeit ein weiteres Jahrhundert später unangetastet.
 
Dr. Brigitte Reinwald, Hamburg
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
afrikanische Großreiche der Sudanzone: Zwischen Regenwald und Wüste
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
afrikanische Gesellschaften in der Geschichte: Aus dem Dunkel der Zeiten

Universal-Lexikon. 2012.

Игры ⚽ Нужна курсовая?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • islamische Reformstaaten der Sudanzone \(18. und 19. Jahrhundert\): Das Schwert des Glaubens —   Am Mittellauf des Senegal, des »Nils der Schwarzen«, wie ihn die klassischen arabischen Autoren bezeichneten, trat ab Mitte des 17. Jahrhunderts eine religiöse Bewegung in Erscheinung, die eine Zeitenwende in der Geschichte Westafrikas… …   Universal-Lexikon

  • Geschichte Nordafrikas — Das nördliche oder saharische Afrika, das geographisch als der Bereich zwischen dem 19. und 38. Breitengrad und dem 13. Grad westlicher und 25. Grad östlicher Länge definiert ist (nach Encyclopedia Britannica), unterscheidet sich in… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”